Über grosse Fragezeichen, schöne Flüsse und nette Bekanntschaften –
Auch über dieses Land werden wir nicht alle unsere Stopps auflisten, sondern eher die Erfahrungen und Erkenntnisse zwischen den Stopps beschreiben.
Gestartet haben wie unsere Entdeckungsreise ganz im Nordwesten des Landes bei Velika Kladusa.
Wir lieben diesen Moment, wo die Erleichterung über einen überstandenen Grenzübertritt auf die zuerst kaum fassbaren Veränderungen trifft, welche der Landeswechsel mit sich bringt. Diese diffuse Wahrnehmung des Neuen auf den ersten Kilometern, dieses Erhaschen von Alltagssituationen und zaghafte Zurechtfinden in neuen Verhaltensregeln.
All diese neuen Entdeckungen, welche einen spüren lassen, dass die Reise in eine neue Welt, deren Bevölkerung, Gepflogenheiten, Geschichte und Kulinarik beginnen kann.
In Bosnien und Herzegovina hatten wir dieses, fast schon etwas euphorisierende, Gefühl sehr stark.
Für die nächsten drei Tage war die Una unser Wegweiser. Der 212 km lange Fluss hat seinen Namen von den Römern, die, als sie seine malerische Schönheit zum ersten Mal sahen und das Rauschen seiner Wasserfälle hörten, ausriefen: „Una!“ was auf Latein „einzigartig“ bedeutet.
Die Una bildet auf weiten Strecken die Grenze zwischen Kroatien und Bosnien.
Eine Besonderheit, die es in dieser Form nur in der Una gibt, sind ihre Kalksteinformationen, Sedra genannt. Diese entstehen durch den hohen Kalkgehalt des Wassers und bilden
vor allem im Una Nationalpark einzigartige Kaskaden. Ein wunderschöner Fluss, glasklar, fischreich, und geschützt. Una eben!
Übrigens, die Fische gelten als sehr schlau und sind schwierig zu fangen. Vielleicht war in unserem Fall auch einfach der Fischer zu dumm.
Noch etwas betreffend Flüsse in Bosnien:
Ein grosser Teil des Berglandes, insbesondere in den westlichen Staatsteilen und der Herzegowina, ist verkarstet. Das hier anfallende Oberflächenwasser gelangt nicht in die großen Flusssysteme, sondern versickert größtenteils. Das heisst man sieht kaum Bergbäche, denn das Wasser tritt oft erst als riesige Quellen am Gebirgsfuss ans Tageslicht. So sind die Flüsse auch im Sommer eiskalt und sehr sauber. Es gibt sogar Flüsse welche unterirdisch bis in die Adria fliessen. Alle überirdischen Flüsse sind einfach nur wunderschön. Also Flüsse können sie, die Bosnier. Was sie nicht so gut können, zumindest aus unserer Sicht, ist Autofahren. Oder besser gesagt, geduldig Autofahren. Dies zeigt sich in sehr waghalsigen Überholmanövern, einem unglaublich schnellen Hupreflex und einem nicht vorhandenen Willen zu Warten. Kleines Beispiel: Möchte man rückwärts aus einer Parklücke in eine stark befahrene Einbahnstrasse einfahren, würde es mit dem naiven Glauben, dass schon irgendjemand halten wird, Stunden dauern. Bosnienstyle geht folgendermassen:
Man setzt nach einem vorbeigefahrenen Auto 10cm zurück, bevor das nächste Auto heran rauscht. Dies wiederholt man konsequent, bis sich irgendwann das nächste Auto nicht mehr getraut, sich an einem vorbeizuquetschen. Dabei sollte man beachten, dass ein möglicherweise abgefahrener Rückspiegel für einen Bosnier nicht unbedingt bedeutet das die Lücke zu klein war.
Hier in Bosnien haben wir auch unsere eigene Alarmanlage für die Nacht entwickelt. Sie basiert auf dem Prinzip Quid pro Quo. An einem Schlafplatz angekommen wählt man sich einen Strassenhund aus. Die Auswahl wird meist nach Sympathie, Hilfsbedürftigkeit oder Durchhaltewillen getroffen. Den gewählten Hund füttert man ein klein wenig. Dies hat zufolge das dieser Hund die ganze Nacht mit allem, was er hat und gegen alles was da kommen mag, die mögliche Futterquelle verteidigt. Am Morgen gibts für die geleistete Arbeit nochmal was. Funktionierte bis jetzt einwandfrei.
Über die Hochebene bei Livno, Mostar und Stolac sind wir hoch in die Berge nach Lukomir gereist.
Lukomir ist ein traditionelles Bergdorf, das auf rund 1.500 Metern Höhe im dinarischen Gebirge liegt. Es ist das höchstgelegene Dorf in Bosnien und bietet einen Einblick in die jahrhundertealte Kultur und Traditionen der Region. Bereits im 14. Jahrhundert bestand an diesem Ort eine Siedlung. Gegründet wurde sie von geflüchteten Bogomilen, einer christlichen Glaubensgemeinschaft. Von Mai bis Oktober leben hier etwa 40 Menschen und über 4.000 Schafe. Unter anderem lebt auch Omar Comor noch im Dorf. Er ist ein direkter Nachfahre des letzten Bogomilen, der hier Zuflucht fand. Der Name Lukomir kommt von luka mira was Hafen des Friedens bedeutet. Genau so ist es auch dort oben. Obwohl sich das Aufeinandertreffen von Tradition und Tourismus irgendwie schräg anfühlt.
Wir sind von der Westseite nach Lukomir gereist. Die Seite von der das Dorf nur schwer per Auto erreichbar ist. Wir haben es geschafft.
Auf der ganzen Reise durch Bosnien und Herzegowina sind wir etwa ein Drittel auf unbefestigten Strassen unterwegs gewesen und habe so die wunderschöne bosnische Natur erlebt. Besonders die kargen und menschenleeren Hochebenen haben es uns angetan.
Die Offroadtauglichkeit unseres Busses ist wirklich gut und es macht Spass dort hinzukommen, wo nicht alle hinkommen.
Aber unter uns gesagt, es ist uns schon ein paar mal passiert, dass wir über eine ziemlich üble Strasse mit Stolz oben angekommen sind und uns durchaus ein bisschen krass gefühlt haben. Und dann? Ja, dann steht dort irgend so ein 2er Golf eines Einheimischen. Eine Tatsache welche die eigene Leistung irgendwie relativiert!
Von Lukomir gings zwei Stunden runter ins Tal. Eingekesselt von zwei Gebirgszügen liegt dort unten Sarajewo. Die Stadt ist bekannt für ihre kulturelle und religiöse Vielfalt. Es stehen hier Moscheen, Kirchen und Synagogen dicht beieinander, was Sarajewo den Beinamen „Jerusalem Europas“ eingebracht hat. Die Stadt verbindet osmanische, österreichisch-ungarische und moderne Architektur was zu einem bunten Häusermix führt. Der zentral gelegene historische Stadtteil Baščaršija, ein osmanischer Basar, ist voller lebhafter Märkte, Cafés und historischer Gebäude.
Die Stadt wurde während des Bosnienkrieges mehr als vier Jahre belagert. Rund 11'000 Menschen kamen bei dieser Belagerung ums Leben.
Der Krieg ist immer noch sehr präsent. Es stehen noch viele Gebäude, welche eindeutige Kriegsspuren aufweisen.
Auf den Strassen gibt es sogenannte „ rote Rosen“. Das sind Orte an denen die Löcher von Granateneinschlägen mit roter Farbe gekennzeichnet sind. Und es gibt eine riesige Zahl an Museen, Touren und Orte die thematisch dem Krieg gewidmet sind.
Ob es Aufarbeitung, Information oder Vermarktung ist, muss jede/r für sich entscheiden. Sehr warscheinlich ist es ein Mix aus allem.
Was auch noch erstaunlich präsent ist, sind die Olympischen Spiele von 1984.
Den Austragungsorten sieht man die 30 Jahre an, aber trotzdem sind die Bosnier immer noch stolz auf diese Spiele.
In Sarajewo haben wir Almila und Mustafa wieder getroffen. Ein bosnisches Pärchen, welches wir einige Tage vorher auf einem Campingplatz kennengelernt haben. Mit ihnen haben wir in ihrem Sarajewo einen schönen Abend verbracht.
Die Zeit mit Mustafa und Almila gab uns die Möglichkeit auch heikle Fragen zu stellen.
Ihre Antworten haben einige der vielen Fragezeichen, welche wir hatten aufgelöst. Aber nicht alle. Zu komplex ist die Geschichte dieses Landes, zu traumatisch das Erlebte und zu verworren das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen. Die beiden malen aber ein nicht allzu optimistisches Bild ihrer Heimat. Die Korruption verhindert das Weiterkommen des Landes und das fehlende Vertrauen in die Regierung, gepaart mit dem fehlenden Einheitsgefühl, versetzt die Bevölkerung in eine gewisse Lethargie.
Auch beim Reisen merkt man immer wieder wie fragil das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien ist. So kann es sein, dass sich an der gleichen Strasse eine bosniakische und eine serbische Schule befinden. Jede mit eigenem Lehrplan versteht sich, was vor allem beim Geschichtsunterricht Folgen hat.
Auch auf der Strasse merkt man sofort, wenn man in einer von einer bestimmten Ethnie dominierten Region ankommt. In bosniakischen Teilen dominiert die Flagge von Bosnien und Herzegowina, in den anderen die von Kroatien oder Serbien.
In der Republik Srbska wird man mit grossen Schildern darauf aufmerksam gemacht, dass man sich jetzt in derselbigen befindet und auf vielen Strassenschildern prangt das Z als Zeichen des Sympathisierens mit Russland.
Ortschaften sind im ganzen Land in griechischer und kyrillischer Schrift angeschrieben. Sehr oft wird dann aber die eine oder andere Schreibweise mit Spraydose übermalt.
Auf Zigarettenpackungen steht dreimal das genau gleiche drauf. In Bosnisch, in Kroatisch und in Serbisch. Zweimal im griechischen Alphabet einmal kyrillisch aber sonst identisch.
Es ist ein sehr schwieriges Thema und wir möchten mit unserer touristischen Momentaufnahme nicht Urteilen oder Verurteilen.
Wir haben uns jedoch in den drei Wochen bei allen Ethnien sehr willkommen gefühlt, ja sogar eine gewisse Dankbarkeit gespürt, dass wir ihrem Land einen Platz auf unserer touristischen Landkarte gegeben haben.
Eine ethnienübergreifende bosnische Identität oder ein Nationalstolz war in den vielen Begegnungen mit der Bevölkerung für uns aber wirklich selten spürbar.
Bosnien ist aber auf jeden Fall eine Reise wert. Eine wunderschöne Natur, herzliche Menschen, ursprüngliche Lebensweisen und eine einfache, aber ausreichende touristische Infrastruktur machen das Reisen sehr angenehm.
Wie schon aus Norwegen haben wir auch aus Bosnien und Herzegowina eine Redewendung als Souvenir mitgenommen.
Wenn jemand sich über irgendetwas beklagt oder reklamiert sagen die Bosnier:
Samo nek ne puca!
Heisst:
Solange sie nicht schiessen ist alles halb so schlimm!
Was ist uns sonst noch aufgefallen:
Alte Männer lüften gerne ihre dicken Bäuche
Friedhöfe haben immer grüne Zäune
Bosnier lieben Gartenzäune aus glänzendem Chrom, sehen hingegen Verputz als überflüssig an
Mitteleuropäer waschen ihre Teppiche zu selten
Unesco Sehenswürdigkeiten können auch gratis sein
Schlaglöcher sind teilweise gewollte Verkehrsberuhigung
Unser Bus war hier einer von vielen
Wow, unglaubliche Bilder und Geschichten, schön das Ihr das teilt.
Werde euren Blog weiterhin mit Interesse verfolgen.
Die Welt ist ein schöner Ort, liebe Grüsse Stef&Isa und Fernando der auch schon einiges gesehen hat🙂